




Corporate Finance im Zeitalter der Digitalisierung
Von Gabriele Romeike-Fänger
Die Bedingungen für die Unternehmensfinanzierung haben sich erheblich verbessert. Liquidität und Unabhängigkeit sind schneller, auskömmlicher und dauerhafter zu erzielen – wenn einige Grundregeln beachtet werden.
Regel 1: Finanzdienstleister mit zertifizierter IT nutzen
Maßgebliche Vorteile zugunsten der Unternehmensfinanzierung sind bei denjenigen Finanzierungsinstituten erzielbar, die über eine ausreichende IT-Landschaft zur Erfassung der von den Unternehmen angebotenen Assets (Sicherheiten) verfügen. Diese sogenannten Finanzdienstleistungsunternehmen sind von den Banken zu unterscheiden. Der Gesetzgeber hat die Auszahlungsbefugnisse der Finanzierungsanbieter insbesondere abhängig von ihren IT-Systemen definiert und prüft regulatorisch – anders als bei den Banken – jedes Institut individuell. Die Erfassung und Bewertung von Anlage- und Umlaufvermögen erlaubt diesen Finanzdienstleistungsunternehmen, dauerhaft mehr Liquidität zur Verfügung zu stellen, als von den Banken ohne separate Bewertung von Blankorisiken bereitgestellt werden darf.
Regel 2: Keine querverhafteten Sicherheitenverträge
Um diese Vorteile nutzen zu können, müssen die Assets des Unternehmens weitgehend frei von querverhafteten Sicherheitenverträgen sein, die für einzelne Kredit-oder Darlehensverträge vereinbart wurden. Unternehmen, die Liquidität nachfragen, bieten ihre bilanziellen Assetklassen, also Immobilien, Warenlager, Maschinen und Anlagen, Forderungen oder Schutzrechte, zur Finanzierung denjenigen Instituten an, die von den Aufsichtsbehörden berechtigt wurden und auf Basis vorhandener IT und Bewertungstools dazu in der Lage sind, Auszahlungen bis zu 100 Prozent der Anschaffungs- oder Beleihungswerte der jeweiligen Assets zu finanzieren. Die Banken scheiden meist mangels moderner IT-Systeme aus dem Kreis der Anbieter aus – es sei denn, sie haben leistungsfähige Tochtergesellschaften.

Die Unternehmensfinanzierung verändert sich im Zuge der Digitalisierung dauerhaft
Quelle: ultramarine5/iStock/Thinkstock/Getty Images
Regel 3: Spezialisierte Institute nutzen
Die Finanzierung innerhalb der Assetklassen erfolgt nach Ausschreibung jeder Finanzierungsanfrage bei dem auf die jeweilige Assetklasse spezialisierten Institut: Für die Immobilienfinanzierungen sind neben den Banken auch Pensionskassen und Versicherungsgesellschaften Finanzierungsanbieter innerhalb der Asset-Klasse. Für die Working-Capital-Finanzierungen sind die Factoringgesellschaften hochspezialisiert. Für Maschinen, Anlagen, Fahrzeuge, Medizintechnik usw. steht die Bandbreite von Equipment-Finance-Instituten zur Verfügung.
Zu beachten ist, dass in der digitalisierten Corporate-Finance-Welt die Förderberatung für Zins- und Kaufpreissubventionen separat und meist außerhalb der Institute eingeholt werden muss. Entsprechende Förderanträge sind den Ausschreibungsunterlagen vorbereitet beizulegen.
Regel 4: Standards bei Antragstellung beachten
Anträge zur Unternehmensfinanzierung müssen den Standards der jeweiligen Anbieter entsprechen. Solche Standards sind aufgrund der zunehmenden Digitalisierung innerhalb der Institute ständigen Veränderungen unterworfen. Die Einwerbung von Finanzmitteln in Ausschreibungsverfahren erfolgt teils bereits über Cloud-Dienste oder über die Direkteingabe in die Entscheidungsvorlagen der Finanzdienstleistungsinstitute.
Letztere sind weitgehend den spezialisierten Beratern oder Maklern vorbehalten. Intelligente, eingebettete Systeme beschleunigen die Rückkopplung und die Entscheidungsfindung. Parallel werden die Berater in den Banken zunehmend durch Assistenzsysteme ersetzt.
Bisher etablierte Vertriebsstrukturen werden durch Direktanbindungen an die Onlineportale der Finanzierungsinstitute mittelfristig ersetzt. Der Unternehmer wählt zwischen den Finanzierungsanbietern innerhalb der Assetklassen nach angebotenem Auszahlungsvolumen, Preis und Handling aus und nutzt die Wettbewerbssituation unter den Anbietern.
Fazit
Im Zuge der Digitalisierung werden Prozesse vollkommen neu gedacht. Das verändert Marktpositionen. So erlaubt die Digitalisierung Unternehmen beispielsweise einen neuen Umgang mit Banken sowie die Einholung von Finanzmitteln in Ausschreibungsverfahren. Dabei handelt es sich um einen Paradigmenwechsel, im Zuge dessen ein Unternehmer vom Nachfrager nach Finanzierungen zum Anbieter von Assets werden kann.
Die onlinebasierte Kreditvermittlung befindet sich auf dem Vormarsch. Die Einbindung von Beratern und Maklern mit starker Marktposition bringt Vorteile – preislich und vertraglich. Onlineanfragen sollten jedoch wohlüberlegt sein, weil die BaFin-konformen Genehmigungsprozesse vielschichtig sind und der Überblick über die Verwendung von sensiblen Unternehmensdaten nicht verlorengehen darf.
Die Lösungen für eine dauerhafte und stabile Finanzierungsstruktur sind immer individuell und werden maßgeblich von den bestehenden Finanzierungsstrukturen und den damit verbundenen Verträgen und gegebenen Sicherheiten bestimmt. Die Transformation in die digitalen Finanzierungsformen der Finanzdienstleister wird weiter gekoppelt mit Bankenfinanzierungen, Letztere allerdings unter neuen Vorzeichen zugunsten der Kreditnehmer. Bei der Umsetzung vieler einzelner Maßnahmen kommt es auf die Synchronisation und damit auf gutes und auf Erfahrung basierendes Handwerk an.
Veröffentlicht im Jahrbuch 2019 Digitale Transformation